„Insight“. Geiler, englischer Begriff. Kannst Du eigentlich nicht übersetzen, ohne eine Horde an deutschen Worten zu bemühen: „Die Karten auf den Tisch legen“. Wenn es um die feinen, sprachlichen Unterschiede geht, empfehle ich „Die schreckliche deutsche Sprache“ von Mark Twain. Muss man gelesen haben. Ohne wenn und aber. Without a doubt.

Nee. Ich bleibe lieber beim Englischen. Und erlaube eine(n) „Insight“ zu diesem Song. Denn es kam so: Vor weit mehr als zehn Jahren hab ich einen Track gebaut. Der war grauenhaft, lag aber immer noch auf meiner Festplatte rum und glotzte mich an. Ich krieg es einfach nicht über´s Herz, sowas zu löschen. Ist ja wie das Herausreissen einer Seite aus dem Tagebuch. Geht nicht. Aber gegen eine Weiterentwicklung spricht ja nichts, oder?

Also aufmachen das Projekt. Kann weg. Kann weg, kann weg. Am Ende noch zwei Spuren übrig. Jetzt, was machst Du damit? Ach…ein „richtiger“ Track wird das ja eh nicht – da kannst Du die Basis ja auch dafür verwenden, um neue Software/Plug-Ins zu testen. Einfach mal so. Hoppla! Geil.

Diese Nummer wird ein Experiment. Ganz offensichtlich. Keiner wird das je hören. Also kann ich ja mal ein paar Sachen ausprobieren, die eigentlich „verboten“ sind. Oder zumindest verpönt: Drei Basslines übereinander. Zwei gegenläufige Kicks. Ein paar Vocals ohne „Hook“ – nur, um ein paar neue Vocoder-Tricks zu testen. Vocoder-Tricks? Wer nichts mit Musikproduktion zu tun hat, weiß nicht, wovon ich rede. Es geht um Effekte auf der Stimme. Aber das ist nicht entscheidend. Denn ich will auf was anderes hinaus:

Ich habe nicht nachgedacht. Einfach nur gemacht. Alle Regeln missachtet. Und heraus kam dieser Song. Der so klingt, als habe da jemand sich an Popmusik versucht. Ohne dabei Popmusik zu machen. Und das Ding wandert jetzt auf meine Festplatte. Und in spätestens zehn Jahren werde ich denken: „Was für ein grauenhafter Song!“. Und dann werde ich 57 von 59 Spuren löschen. Um damit dann neue Effekte zu testen. Und es wird wieder was entstehen.

Für mich zählt gerade gar nicht das Ergebnis, sondern der kreative Prozess, der dahin geführt hat.

Im Ergebnis gibt es noch eine textliche oder musikalische „Unwucht“? So what? Dann bleibt der Pinselstrich eben sichtbar.

„Gezielt“ hätte ich so eine Nummer nicht bauen können. Und das gibt mir zu denken.

Wer genau hinhört, wird in der Musik einige unerhörte Audio-Effekte finden. Nicht genug, um ein Patent darauf anzumelden. Aber für mich klangliches Neuland. Andererseits, wenn keine aktiven Kontrollmechanismen gerade greifen, lassen sich trotzdem (oder gerade deswegen) deutliche Einflüsse heraushören, die mich in den letzten Jahren beeindruckt haben. Eine Fuzz-verzerrte-Gitarre mit Harmonizer konnte ich gerade noch verhindern! Ich fand es sehr erstaunlich zu beobachten, welche Entscheidungen das Vorbewusstsein trifft. Wenn es um die Kick geht: Reines Bauchgefühl. Arrangement? Reine Gefühlssache. Und das Arrangement ist schon speziell.

Long story short: Nix geplant. Das kam dabei heraus.

Und jetzt, für alle Nerds, die noch mehr erfahren möchten:

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.22.02

So sieht das Projekt aus.

Lustiges Detail: Ich bastel an der Nummer rum. Nachmittags. Meine Tochter im gleichen Raum. Mit ihren Freundinnen. Turbulent. Mir fehlt noch an einer Stelle eine gute Idee. Im „Funkloch“-Teil. Also alle Kinder vor`s Mikro: Und „Off- line!“-Rufen.

IMG_9129

Auch wenn Live-aufgenommene Gitarren hier nur im „Funkloch“-Teil zum Einsatz kamen: Das Zeug liegt bei mir am Boden rum, wenn ich Gitarren aufnehme. Und das hilft schon. Besonders der Kemper-Amp – der verschiedene Verstärker simulieren kann.

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.25.19

„Tantra“ war der Ausgangspunkt. Ein Effekt, den ich auf den verbliebenen zwei Spuren des Original-Projekts getestet habe.

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.21.12

Wie oben zu sehen: Eine Vocoder-Spur. Aber mit speziellen Settings. Dadurch wird der Effekt nur jede 1/16-Note hörbar. Und dann auch nur für 24% der Länge einer 1/16-Note – also sehr subtil!

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.23.05

„DearVR Pro“ sorgt für die seltsamen Stereo-Effekte am Anfang. Spannendes Teil! Ich verstehe nicht genau, was es macht. Aber es macht was – läßt mich glauben, ich hätte keine Kopfhörer auf – wenn ich mit Kopfhörern Musik höre. Faszinierend.

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.23.54

Die Effekte auf dem Gesang – hier habe ich vor allem die MaxForLive-Effekte „Autotuna“ und „Poly Vocoder“ ausprobiert.

Bildschirmfoto 2020-07-04 um 00.24.30

Und diese Effekte schließen sich dann an – auf den Gesangsspuren.

IMG_9019

So sah mein Arbeitsplatz bei der Aufnahme aus. Text immer noch auf Papier – und nicht digital. Und die Uhrzeit: 09:21 Uhr morgens. Vor zehn Jahren hätte ich Dir noch einen Vogel gezeigt. Aber inzwischen sind mir die Stunden von 9 – 15 Uhr fast die liebsten.

Zwischen 23 Uhr und 01:00 Uhr für mich in der Regel auch immer produktiv. Zum Musik machen – oder, wie heute, zum Blog-Schreiben.