Es gibt Gigs, die sind wichtiger als andere. Dieser Gig vor 5 Jahren war mir sehr wichtig, da er von einer Konzertagentur veranstaltet wurde, die regelmäßig auch ein großes Festival in Hamburg organisiert. Daher wollte ich mit diesem Gig eine „Visitenkarte abgeben“, um vielleicht im Anschluß auf dem „großen“ Festival spielen zu dürfen. Es sollte also alles perfekt werden, um einen guten Eindruck zu machen.
Der Gig bestand darin, auf einem Beatles-Tag-Festival eine Stunde lang (elektronische) Remixe der Liverpooler Band zu spielen. Die Aufgabe erschien mir verlockend, schließlich war ich ein glühender Verehrer der Rolling Stones. Und als Stones-Fan war es mir eine Herzensangelegenheit, die Musik der Beatles in ihre Einzelteile zu zerhacken, um sie anschließend neu zusammen zu setzen.
Als erstes besorgte ich mir alle Beatles-Alben und verschaffte mir einen Überblick über ihr Werk. Ich hörte mir jeden Song an, den die Beatles je veröffentlicht hatten, in chronologischer Reihenfolge. Und, zugegebenermaßen, war ich beeindruckt von der stilistischen Entwicklung in der doch relativ kurzen Zeit ihres Bestehens. Und ich merkte schnell, dass ich vor allem die Songs mochte, bei denen Paul McCartney nicht singt.
Nach einer Vorauswahl an Liedern begann die Arbeit. Und das bedeutete: Warpen, warpen, warpen. Stunde um Stunde, Tag für Tag. In dieser Phase habe ich bei einem Umzug geholfen und als der Umzugswagen eine Panne hatte, habe ich mich an den Rand der Autobahn gesetzt und weitergewarped, bis der Abschleppwagen kam. Die Zeit drängte. Aber ich war auch etwas ableton-verrückt in dieser Zeit.
Zu meiner Überraschung trommelt Ringo Star, als hätte er ein Metronom eingebaut. Drum-Computer nichts dagegen. Nachweislich wurden alle Songs ohne Metronom oder Click produziert, aber ich traute meinen Augen kaum beim Blick auf die „segment bpm“-Angaben in der Clip-Ansicht: Immer nahezu konstante Werte im gesamten Song! Das sieht bei den Rolling Stones oft anders aus…
Jetzt konnte das eigentliche Remixen beginnen: Loops setzten, Drums und Loops hinzufügen, Effekte und „auf neue MIDI-Spur-Slicen“. Wollte ich eine Akkordfolge oder eine Bassline doppeln, so war mir der dicke Notenwälzer „the complete Beatles Songbook“, den ich in einer Musikschule entdeckte, eine große Hilfe. So mußte ich nicht mühsam zunächst die Töne bestimmen, sondern konnte die entsprechenden Passagen „vom Blatt“ einspielen. So war am Ende mein Musikstudium der klassischen Musik am Ende doch noch zu etwas gut gewesen. Und wie angenehm, dass ich beim Einspielen in LIVE einfach das Song-Tempo reduzieren konnte – spätestens hier zahlte sich das Warpen aus.
Nach einigen Wochen hatte ich nicht nur ausreichend viele Remixe erstellt, sondern auch zu jedem Stück Instrumente zum Live-Spielen vorbereitet – Drum Racks voll mit Beatles-Fragmenten, Impulse, Instrument Racks, Operator. Und da der Gig perfekt werden sollte, übte ich täglich die „Show“, straffte Übergänge, änderte die Set-List und tausche Songreihenfolgen. Mit der „Resampling“-Funktion nahm ich die Proben auf, analysierte anschließend Schwachpunkte und Längen. Am Ende war die Show exakt 59 Minuten lang.
Dann klingelte eine Woche vor dem Gig das Telefon: Eine Band fällt aus. Ob ich vielleicht wohl auch zwei Stunden Remixe spielen könnte?
Nachtschicht.
Schlafmangel, Augenringe.
Warpen, Loopen, Üben.
Ein Tag vor dem Gig: eine Stunde und neunundfünfzig Minuten Material.
Der Tag des Konzertes. Angenehmer Soundcheck, eine nettte Crew, ein Publikum zwischen 6 und 66 Jahren, eine gute Anlage, es geht los. Die ersten Songs laufen wie am Schnürchen. Ich fühle mich wohl und habe Spaß.
Wie schon gesagt, dieser Gig war mir wirklich wichtig. Bei unwichtigen Gigs spiele ich ohne Hardware-Reserve-Backup. Hier allerdings: Zweites Laptop mit Audio-Interface, gespiegelte Daten, während der Show vorsorgliches scrollen in der Session-Ansicht beim Backup zum aktuellen Song. Ich hätte in zwei Sekunden bei einem Absturz zum Backup wechseln können.
Allerdings hatte ich ein kleines Detail übersehen: Den einzigen USB-Hub.
Und genau dieser USB-Hub verabschiedet sich nun. Und was ist an diesem Hub grade alles angeschlossen? Launchpad, APC 40, zwei Keyboards und zwei weitere Controller mit Effektbelegungen. Nichts davon funktioniert mehr. Die Musik läuft zwar weiter, aber meine Möglichkeiten beschränken sich nun auf das Tounchpad am Laptop. Kurze Panik. Aufsteigende Hitze, Schweißausbruch. Denken, denken, denken.
Aus dem Nichts eine Idee: MIDI!
Ein hilfesuchender Blick in die Runde. Ich erblicke einen Bekannten direkt vor der Bühne. Hoffnung keimt auf. „Stan, lauf zur Backstage. Frag jeden Musiker, den Du dort triffst, nach MIDI-Kabeln und bring mir so viele Kabel, wie Du kriegen kannst!“. Zwei bange Minuten später erscheint Stan vor der Bühne mit mehreren MIDI-Kabeln. Ich verbinde alle Geräte (sofern sie ein MIDI-In bzw. -Out besitzen) untereinander und schließe das letzte MIDI-Kabel mit zitternden Fingern an meinem Audiointerface an. Barfuß oder Lackschuh. Alles oder nichts.
Es funktioniert, ich bin gerettet! Der Rest des Gigs ist ein Kinderspiel.
Am Ende ging der Plan auf: Nach gutem Feedback für diesen Gig wurde ich tatsächlich anschließend vom Veranstalter zum großen Festival eingeladen. Dieser Auftritt war dann allerdings der schlimmste, den ich je erleben mußte. Aber das ist eine andere Geschichte.