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Als ARTE mich verstörte…

Vor 15 Jahren spielten die „Smashing Pumpkins“ in Hamburg. Damals ohne James Iha. Und natürlich ohne D`Arcy. Trotzdem schön. Für eine Selist von gefühlt etwa 35 Songs hatte Billy Corgan geschätzt 70 Gitarren mitgebracht, deren Hälse links und rechts über den abgrenzenden Vorhang der Backstage ragten. Tolles Konzert, toller Sound. Aber ich wunderte mich, dass zusätzliche Verstärker auf der Bühne standen, die während des Konzerts nicht verwendet wurden.

Die Auflösung bei der Zugabe: Billy bittet zwei Gäste auf die Bühne. Uli Jon Roth und Michael Schenker von den Scorpions. Ich mag die Scorpions nicht besonders. Ja, ich weiß: Das Frühwerk war sehr wichtig als Inspirationsquelle für Billy Corgan. Vielleicht lag es an den fünf Bier, die ich während der Show getrunken hatte. Jedenfalls war während der Ansage Totenstille. Und als das Wort „Scorpions“ aus Billys Mund kam – habe ich mich zu einem gedehnten „Pfuuuuuuiiiiii!!!“ hinreißen lassen. Hinein in die Stille. Gelächter rings um mich herum. Ich war wohl nicht der einzige im näheren Umkreis, der mit den Scorpions nicht viel anfangen kann. Nicht nett von mir. Ich weiß.

Umso erstaunlicher: Ein Jahr später erscheint auf ARTE eine neue Folge der Reihe „Durch die Nacht mit“…Billy Corgan! Darin am Ende zu sehen eine Sequenz von besagtem Konzert. Etwas nervös fiebere ich der Stelle entgegen, bei der Corgan die Gäste ankündigt. Doch zu meiner Überraschung hört man Jubel und Applaus. Zunächst bin ich erleichtert. Dann irritiert. Da wurde was in der Tonspur verändert. Eigentlich nicht überraschend. 99% aller Live-Alben aus den letzten Jahrzehnten wurden nachbearbeitet. Es wäre naiv zu glauben, ein Konzertmitschnitt wäre ein unverfälschtes, historisches Dokument. Das wusste ich eigentlich schon vorher. Aber es „am eigenen Leib“ zu erfahren, war irgendwie…seltsam. 

Noch ein Wort zu den Scorpions: In meiner Grundschulzeit besaß mein Freund Stefan das Scorpions-Live-Album „World Wide Live“. Eine Doppel-LP zum Aufklappen. Dort abgebildet ein elektrisierendes Bild der Bühne. Schnell war uns klar: Wir müssen eine Band gründen! Ich sägte mir aus Restholz eine Flying-V zusammen. Das gestreifte Sofa von Stefans Eltern bildete Keyboard-Tasten unter Kinder-Fingern. Die Platte wurde aufgelegt und wir rockten die Welt. Einer dieser kleinen Bausteine meiner musikalischen Geschichte. Wer weiß, welchen Beitrag für die spätere Entwicklung diese Episode für mich hatte.  Aber vielleicht ist das auch der natürliche Lauf der Dinge, dass man später die Dinge verflucht, die einen als Kind geprägt haben. Vielleicht war mein völlig ungeplantes und unreflektiertes „Pfuuuuuuiiiiii!!!“ auch einfach ein Echo der Rebellion auf unsere Anfänge mit dem Keyboard-Sofa.