Die erste Musik, an die ich mich erinnern kann: „Der Mond ist aufgegangen“. Dazu schwebend das Gesicht meines Vaters über meinem Kinderbett. Seine Stimme bei manchen Noten brüchig, manche Tonhöhen eher zu erahnen als zu hören. Ich war da höchstens drei Jahre alt. Trotzdem erinnere ich mich noch gut an den Klang der Melodie und das damit verbundene Gefühl.
Etwas später: Je nach Windrichtung ein regelmäßiges „Bum-Bum-Bum-Bum“. Das Schützenfest, vier Kilometer entfernt. Wie kann ein „Bum“ so laut sein, dass es vier Kilometer entfernt noch zu hören ist?! Und warum ist da keine Melodie? Was finden Leute nur an „Bum-Bum-Bum-Bum“ gut, dass sie es den ganzen Abend lang hören wollen?
Diese beiden Erfahrungen sind mein Einstieg in die Extreme der Musik gewesen: Laut und leise. Melodie und Rhythmus.
Mein Cousin in Stuttgart ist viele Jahre älter. Er hatte eine beeindruckende Plattensammlung! Wenn wir dort zu Besuch waren, versank ich in in einer Traumwelt: Klänge, Cover und Kassetten. TDK-SA-90. Ich war sechs, sieben, acht. Die „Doors“. „Pink Floyd“ und die „Beastie Boys“. Der „Boss“. Kate Bush. Zu Hause im Radio lief nur „Nena“ und „Trio“. Auch schön. Aber irgendwie anders als „The Cure“. Meine erste Begegnung mit Robert Smith: Das Cover von „Starring at the sea“. Ein sehr alter Mann auf dem Cover. Das mußte wohl der Sänger sein. Falsch gedacht.
Frühe musikalische Prägungen scheinen wichtig zu sein. Manchmal dachte ich einige Ecken weiter: Die frühe Steinzeit. Was gab es da? Leise: Das Einschlaflied. Ein säuselndes Werben und Balzen. Klagen und wimmern. Melodien.
Laut: Stammestänze. Tiefes Leid. Ausgelassenes Spiel. Kriegsgeheul. Lieder, die die monotone Arbeit erträglich machen und wiederkehrende Bewegungen in Rhythmus übersetzen.
Beziehen heutige Songs ihre Wirkung immer noch aus dieser evolutionär-tief-sitzenden Entstehung und Entwicklung?
Die „Doors“ haben sich immer wieder auf „alte“ Aspekte bezogen: Der Schamane. Dyonisos. Mythen, Natur und Zauberei. Alles klar. Völlig nachvollziehbar. Aber wie passen „The Cure“ und „Trio“ in dieses Bild?! Ist „The Cure“ nur eine Variante des Wimmerns?! Wie passt dann „Hot hot hot“ oder „The walk“ in diese Theorie? Oder die Band „Trio“? Welche Funktion hätten deren Lieder in der Steinzeit gehabt? „Turaluralu“ ein Wiegenlied. Aber „Da da da“?
Es wird oft gesagt, die Menschen wüssten noch ganz genau, wo sie waren, als Kennedy erschossen wurde oder sie von den Attentaten am elften September zuerst hörten. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal „Captan Future“ sah und dabei die Musik von Christian Brun hörte. So klang für mich die Zukunft. Auch an die ersten Male „Dark Side of the moon“ und „Misplached Childhood“ erinnere ich mich gut. Es war früher Nachmittag und die Sonne schien in unser Wohnzimmer, als ich zum ersten Mal MTV einschaltete und dort mit offenem Mund das Video von „Money for nothing“ sah.
Und auch wenn es dann bereits einige Jahre später war: Ich weiß noch, wo ich mich befand, als ich das erste Mal „Bombtrack“ hörte. Oder „Unfinished sympathy“ und „Glory Box“. „Bullet with butterfly wings“. „Deck the house“. Vielleicht ist es zu weit gegriffen, für diese Lieder Vorbilder und Muster aus der Steinzeit zu suchen. Gewiss gehören diese Momente aber zu meiner eigenen, persönlichen Steinzeit, auf die ich mich mit meiner Musik, bewusst und unbewusst, immer wieder beziehe.