Bevor es losgeht: Auf den nachfolgenden Beitrag habe ich viele Reaktionen bekommen. Viele Musiker haben mir daraufhin ihre Geschichten erzählt und geschrieben. Nun kam ich dadurch auf folgende Idee: Wir sammeln solche Stories und bringen sie als Buch heraus. Es gäbe dafür mindestens zwei Zielgruppen: Für erfahrene Musiker zum Schmunzeln, aber besonders für alle (jungen) Menschen, die vielleicht Musiker werden wollen, als Einblick, was einen so erwartet. Daher: Wenn Du auch eine Geschichte teilen/beitragen möchtest, dann schreib sie in die Kommentare unter diesen Artikel oder schicke mir eine Nachricht über das Kontaktformular!
Und hier kommt sie, die unglaubliche (aber weder erfundene, noch übertriebene) Geschichte vom übelsten Auftritt meines Lebens:
Ein Jazz-Festival. Große Namen. Sehr große Namen, zum Teil Legenden. Ich irgendwie dazwischen gerutscht.
Ich wurde gebucht, um zwischen den Sets (also in den Umbaupausen) zu spielen. In dieser Zeit hatte ich mir einen kleinen Namen gemacht mit „Elektroswing“. Bereitete mich wie üblich sehr akribisch vor: 4 x 35 – 45 Minuten vom Besten, was ich je in dieser Richtung gemacht hatte. Auswahl treffen, Sets zusammenstellen, durchspielen, verändern, durchspielen, verbessern, Zeit stoppen, Probeaufnahmen hören, Üben, Backups erstellen.
Ich war bereit.
Der Auftritt an einem ungewöhnlichen Ort: Blohm & Voss, die ledendäre Schiffswerft in Hamburg. Die große Halle. Ich fuhr mit einem Auto voller Equipment zum Haupttor.
„Wo ist ihr Zugangsschein?“
„Zugangsschein ? Keine Ahnung, ich soll hier heute Musik machen.“
„Alle haben vorher einen Zugangsschein bekommen.“
„Ich nicht. Alles mögliche habe ich vorab bekommen an Infos. Aber keinen Schein.“
„Zutritt nur mit Zugangsschein!“
„Ich hab aber keinen bekommen. Fragen sie bitte bei den Veranstaltern in der Halle nach. Ich soll hier heute Musik machen.“
„Zutritt nur mit Zugangsschein.“
Nach kurzer Diskussion durfte ich dann doch auf das Gelände. Ohne Auto allerdings, wie es zunächst hieß. Nachdem ich eine weitere Viertelstunde dem Pförtner erklärt hatte, dass mein Auto voller Equipment sei, ließ er mich gnädigerweise doch mit dem Wagen auf das Gelände. Was für ein Start in den Abend…
In der Halle suchte ich nach meinem mir vorab angekündigten Ansprechpartner. „Lars“ (Name geändert) ist der Stage-Manager und kümmert sich um die technischen Aspekte der Bühne.
„Kannst Du mir sagen, wo Lars ist?“
„Lars ist weg. Seine Frau bekommt grade ein Baby. Till (Name geändert) vertritt ihn heute.“
„Und wo ist Till?“
„Nicht da.“
„Ah, ok, äh, und wer kann mir jetzt sagen, wo ich meinen Kram aufbauen kann?“
„Wer bist Du denn?“
„Ich soll hier zwischen den Hauptacts Musik machen“
„Davon weiß ich nichts.“
„Guck mal in´s Programm: Nils Hoffmann. Wie gesagt: Ich spiele immer zwischen den Haupt-Acts.“
„Davon weiß ich nichts.“
„Guck mal in´s Programm: „Herr Hoffmann„.“
„Das haben wir hier aber noch nie so gemacht. Mit Musik dazwischen.“
„Aber dafür wurde ich hier gebucht. Guck doch einfach mal in´s Programm hier: Da steht es!“
„Hmm, na gut, aber die Bühne ist voll. Wegen der Big Band. Alles voll.“
„Ähh, und nun?!“
(Er blättert entnervt im Programmheft)
„Du kannst dich vor der Bühne aufbauen.“
„VOR der Bühne? Im Graben für die Presseleute? Nicht Dein Ernst!!! Hey, die Bühne ist 30 Meter breit, ich brauche ja nur Platz für ein Laptop und ein paar Controller.“
„Du kannst auch hinter der Bühne stehen. Davor oder dahinter. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht – und beeil Dich mit dem Soundcheck – in 5 Minuten haben die Tontechniker Pause.“
Dabei war ich nicht nur pünktlich zur vorab vereinbarten Uhrzeit aufgetaucht, sondern eine komplette Stunde zu früh am Veranstaltungsort. Trotz komplexem Setup (Zwei Computer, kleines Mischpult, Festplatten, Interfaces, Controller) schaffte ich es irgendwie, in fünf Minuten aufzubauen – vor der Bühne. Ich lade das erste Set. Gebe ein Signal raus an die P.A.. Nach 3 Sekunden Soundcheck brüllt der Tontechniker:
„Ok, danke. PAUSE!“
(An diesem Punkt hätte ich einfach nach Hause fahren sollen…)
Die erste Show begann. Ich schlenderte derweil durch die Halle. Kaufte mir auf eigene Kosten überteuerte Würstchen und Cola am Stand vor der Halle. Ein Catering war für mich nicht vorgesehen. Mein Soundcheck war für 16 Uhr angesetzt gewesen, das Konzert sollte gegen Mitternacht enden. Einen Ansprechpartner war in den letzten Stunden nicht aufgetaucht. Meine Telefonanrufe beim Veranstalter landeten auf der Mailbox.
Der erste Act spielte irgendwann seinen letzten Song. Es wurde Zeit, mich an meinen Arbeitsplatz vor der Bühne zu begeben. Ich näherte mich also der Absperrung vor der Bühne. Ein Security-Mann stellte sich mir in den Weg.
„Ausweis!“
„Äh, hab ich nicht. Gerne hätte ich einen Ausweis, aber es lief alles etwas chaotisch: Lars sollte mir einen Ausweis geben, aber seine Frau bekommt grade ein Baby, Till vertritt ihn, aber den habe ich bisher auch nicht gesehen. Ich mache gleich Musik zwischen den Hauptacts. Guck, da vor der Bühne steht mein Zeug, da muß ich jetzt hin.“
„Aus – weis!!!“
„Du hast da doch ein Funkgerät, hole bitte mal den Till oder wer auch immer hier grade Stage-Manager ist her, damit er Dir das bestätigen kann.“
„Den Ausweis!!!!“
„Ok, ich erkläre es Dir jetzt mal anders. Wenn Du mich jetzt nicht durchlässt, dann gibt´s hier jetzt keine Musik zwischen den einzelnen Hauptacts. Willst DU dafür verantwortlich sein?“
Nach einer längeren Diskussion darf ich dann doch irgendwann passieren. Ich erreiche meinen Arbeitsplatz grade rechtzeitig mit dem Schlußakkord des ersten Acts. Und spiele mein erstes Set. Atmosphärisches Intro. Eine sanfte Fäche in d-Moll, die eine Grundlage für eine Improvisation mit Swing-Samples bilden sollte. Da ich ein Freund von Dynamik bin, beginne ich sehr leise und verhalten. Doch schon nach wenigen Sekunden steht der Tontechniker vom Mischpult vor mir.
„SOFORT leiser!!!“
Ich ziehe meinen Masterkanal irritiert um -9 dB leiser.
„LEISER!!!“
Ich ziehe meinen Master um weitere -16 dB leiser.
„Noch viel leiser!!!“
Ich ziehe meinen Master-Kanal um -32 dB leiser. Die Musik ist jetzt so laut wie das Gemurmel des Publikums. Eher leiser als das Gemurmel.
(An diesem Punkt hätte ich einfach nach Hause fahren sollen…)
Der nächste Hauptact spielt seine Show. Dann bin ich wieder dran. Ich versuche, mich von der Zimmerlautstärke (bzw. weniger…) nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und schaffe es nach einigen Minuten auch, recht gut in mein nächstes Set reinzukommen. Grade spiele ich ein erstes Solo, als vor der Bühne, genau dort wo ich stehe, haufenweise neues Equipment auf mich zurollt. Schlagzeug-Becken, Stative, verschiedene Keyboards und ein Kontrabass. Anscheinend die Instrumente des nächsten Acts.
„Aus dem Weg!“ büllt ein Roadie mich an.
Doch wie soll ich mich mit meinem Zeug in Luft auflösen?
„Faß doch mal an!“ schreit ein anderer Roadie.
Ein dritter Roadie fängt bereits an, meinen Computer und die Controller beiseite zu schieben, während schon ein Kontrabass-Koffer über meinen Kopf schwebt.
(An diesem Punkt hätte ich definitiv nach Hause fahren sollen…)
Der nächste Show-Act, der sich auf der Bühne bereit macht, verdient definitiv das Prädikat „Legende“. Während ich also in meiner Flüsterlautstärke meine Musik irgendwie weiterspiele, brüllt der Keyboarder der Band von der Bühne zu mir herunter:
„What are you playing? This is crap. Stop this bullshit!“
Nach allem , wie der Tag bisher gelaufen ist, konnte ich mir nun ein Grinsen nicht verkneifen . Da kam der Keyboarder mit hochrotem Kopf an den Bühnenrand und brüllt mit funkelnden Augen zu mir herunter:
„What are you laughing, boy? Fuck you and your fucking music!“
(An diesem Punkt hätte ich längst zu Hause sein sollen…)
Wenig später, in seinem Konzert, macht eben dieser Keyboarder eine Ansage, in der er sich für die viele Liebe bedankt, die er in diesem Raum spürt. Und wie dankbar er ist für den Respekt, den man hier seiner Musik entgegenbringt.
Wäre mir dieses Festival nicht so wichtig gewesen, ich hätte längst meine Sachen gepackt und wäre nach Hause gegangen. So aber erfüllte ich pflichtbewusst meine Aufgabe bis zum letzten Ton, packte erst gegen Mitternacht meine Sachen.
Fazit: Es gibt seitdem keine „wichtigen“ Gigs mehr für mich. Ich spiele da, wo man nett miteinander umgeht. Und: Ich gehe sofort, wenn derartige Dinge passieren. Oder fange gar nicht erst an. Alles andere ist ja Quatsch. Keine Ahnung, warum ich mir das an diesem Tag so lange gegeben habe. Ist schon ein paar Jahre her, da war ich in diesen Dingen noch etwas unerfahren bzw. unsicher. Manchmal braucht es wohl derartige Erfahrungen, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Hätte trotzdem gerne auf diese Erfahrung verzichtet. Es war ein Alptraum.
Außerdem nehme ich zukünftig immer eine kleine Dose Gift mit zum Auftritt. Seid gewarnt, liebe Keyboarder, Bühnenmanager und Legenden! Lasst niemals Eure Drinks unbeaufsichtigt, wenn ihr mich vorher angepöbelt habt…der Onkel hat jetzt G-I-F-T in der Tasche!!!
(Kleiner Tipp an Musikaliengroßhändler wie „Thomann“: Bitte nehmt „Bühnengift“ in euer Sortiment auf. It sells…)