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„1:0 für die DDR“

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In meiner Lieblingskneipe war ich seit Jahren nicht nur als Gast, sondern auch als DJ aktiv. Einmal im Monat spielte ich dort musikalische Achterbahnen, da das Publikum dort im musikalischen Eklektizismus zu Hause ist. Im Keller stand ein Kicker. Und Tischfußball entwickelte sich langsam zur Haussportart der Stammgäste. Da lag irgendwann die Idee nah, ein Turnier zu veranstalten. Und da ich mit meinen Potpourris den Geschmack der Leute traf, wurde ich gefragt, ob ich nicht den Turnier-DJ geben möchte. Das wollte ich gern tun.

Nun kam ich auf die Idee, das Thema „Fußball“ aufzugreifen. Was lag da näher, als das Länderspiel in der Woche vor dem Turnier aufzunehmen und einige Kommentare herauszuschneiden, um sie in meinem DJ-Set einzubauen. Es war die Zeit von Delling und Netzer, da brauchte es keine Zauberei, um schnell einige amüsante Zitate zu finden. Der Abend verlief äußerst zufriedenstellend und ich wurde gebeten, auch das nächste Turnier musikalisch zu begleiten.

Am Tag des nächsten Turniers, einem Samstag, stand ich in der Küche und machte den Abwasch. Zur Unterhaltung schaltete ich das Radio ein und landete eher zufällig bei der Bundesliga-Konferenz. Und schnell war das Radio mit dem Computer verbunden und die Aufnahme gestartet. Nun hatte ich anscheinend einen guten Tag erwischt, den die Kommentare waren wunderbar – im Guten, wie im Schlechten. Als geübter Sample-Schneider benötigte ich nicht lange und hatte nun einen Haufen toller Sätze.

Das Turnier hatte sich währenddessen auch weiterentwickelt: Im Keller, wo der Kicker stand, war kaum Platz für Zuschauer. So wurde eine Webcam über dem Tisch installiert, die das Geschehen in die Bar übertrug – auf Großbildleinwand! So konnten nicht nur die Gäste verfolgen, was im Keller vor sich ging, auch ich konnte nun den Spielverlauf erkennen. Das brachte mich auf eine Idee.

In meiner Musiksoftware gibt es ein Instrument, mit dem man sehr einfach Samples über eine Klaviatur abspielen kann. Ich verteilte also die gesammelten Fußballkommentare auf unterschiedliche Klaviertasten: Positive Kommentare auf die weissen Tasten, negative Kommentare auf die schwarzen. Dann beobachtete ich die Großbildleinwand und drückte je nach Situation eine weisse oder schwarze Taste. Fiel ein Tor, drückte ich die Note „C“, den dort hatte ich Kommentare zu Toren vorbereitet. Diese Technik bereitete allen Anwesenden großes Vergnügen.

In den folgenden Jahren wurde das Kicker-Turnier zu einem festen Bestandteil der Bar. Zur Vorbereitung schnitt ich immer mal wieder Fußballspiele mit und suchte anschließend in den Aufnahmen nach neuen Samples. Ich entdeckte in einem Second-Hand-Shop eine CD mit „Historischen Fußballkommentaren“. Wer außer mir, sollte diese CD jemals gebrauchen können? Eine Goldgrube.

Ich verfeinerte meine Technik: Um die Verständlichkeit der Fußballkommentare zu erhöhen, integrierte ich eine Schaltung in meiner Software, die dafür sorgte, dass die Musik automatisch leiser und etwas dumpfer wurde, sobald ich einen Kommentar über eine Klaviertaste abfeuerte. Fachbegriff: „Sidechain“. Inzwischen hatte ich etwa 500 Kommentare gesammelt. Manche davon hatte ich noch aufgemotzt. Wenn Trainer Thomas Schaaf nach einem Spiel resümierte, „Wir hatten die Räume und haben sie genutzt“, dann verwendete ich einen Halleffekt für das Wort „Räume“ und es klang, als würde er in einer Kathedrale sprechen.

Die ganze Aktion war weniger aufwändig, als es jetzt vielleicht den Anschein hat. Samples aufzunehmen und zu scheiden kostet mich keine Mühe. Das mache ich mal so nebenbei in einer halben Stunde. Macht ja auch Spaß. Trotzdem ist das Resultat etwas, was vermutlich niemand anderes auf der Welt gemacht hat. Es ist, zugegeben, schon etwas speziell. Aber es bringt auch jedes Mal ein Grinsen in mein Gesicht: Die Großbildleinwand beobachten und dann die entsprechenden Klaviertasten drücken – das macht einfach Spaß.

Bei 500 Kommentaren weiß ich dann auch nicht mehr genau, welches Sample kommen wird, wenn ich eine Taste drücke. Beschriftungen waren nie meine Stärke. Ich verlasse mich einfach auf meine Struktur: Weisse Taste – positiv! Schwarze Taste – negativ! Note „c“ – Tor! Und so geschah es, dass ich auf der Leinwand sehe, wie ein Tor fällt. Ich drücke sofort ein „c“. Es kommt: „1:0 für die DDR – Sparwasser!“

Das Spiel ist aus, die Spieler kommen aus dem Keller. Einer der Spieler kommt völlig verdutzt zum DJ-Pult. „Ey, woher wußtest Du, dass ich aus dem Osten bin?!“

Man muß auch einfach mal Glück haben.

(Die in diesem Text erwähnte Bar ist das „imoto“ in Hamburg-Ottensen. Ich kann sie nur empfehlen. Wegen den guten Drinks, den wunderbaren Bedienungen und der angenehmen Atmosphäre. Vor allem aber wegen den wunderbaren (Stamm-)Gästen, die entspannt, unaufgeregt, authentisch, weltoffen, tolerant, humorvoll, unprätentiös, korrekt und freundlich sind, und mit denen man auch als Außenstehender leicht ins Gespräch kommen kann.)