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Elbphilharmonie – Teil 7

Das war´s.

Und wie war´s? Schwer zu sagen, weil die Adjektive natürlich immer schwieriger als Verben. Verben sind einfach: Hinfahren, aufbauen, einstellen, spielen, abbauen, wegfahren. Aber Adjektive sind immer so ein Ding. Da triffst Du vielleicht nur knapp daneben und dann eben nicht Volltreffer, sondern eher Querschläger.

Nun kannst Du den Abend auf viele Arten erzählen: Chronologisch. Emotional. Technisch. Du kannst die Eindrücke der Zuschauer an den Anfang stellen, da ich z.B. die Lichteffekte von der Bühne aus nicht erkennen konnte. Kurz liebäugelte ich mit dem Gedanken, das verwendete Equipment sprechen zu lassen: Weil das Case vom Andi und erste Band, die Gitarre vom Fabi und der Koffer von Musikland in Bremen, der Aufkleber New York 2010, der Verzerrer 1988 in Notting Hill, der Bildschirm früher in der Küche, das Plektrum von Sandra handgefeilt, und somit eigentlich das ganze bisherige Leben mit auf der Bühne. Und völlig bizarr: Der Reichel vor sich das Orginal-Pedalboard, mit dem ich bis 1993 unterwegs war:

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Ich fange mal am Ende an: Um 0:30 Uhr zu Hause alles ausgeladen, die Babysitterin nach Hause geschickt und dann den Sekt mit der Freundin geköpft. Die Tochter natürlich alles verschlafen, weil Punkt acht das Licht aus.

Um 23:30 Uhr das Auto voll beladen mit Musikequipment im Wert von tausenden Euro aus dem Elbphilharmonie-Parkhaus gefahren – und direkt in der nächsten dunklen und verlassenen Seitenstrasse abgestellt, dazu das Portemonnaie offen sichtbar auf dem Beifahrersitz gelassen. Da merkst Du schon, der Kopf nicht mehr so ganz die Höchstleistung, aber alles noch mal gut gegangen. Aber warum überhaupt geparkt? Weil die Freundin.

Auf der Bühne bist Du natürlich unter Anspannung, aber Konzert auch für die Freunde und Familie im Publikum immer eine Nervensache, frage nicht. Da mußt Du Dich schon auch einmal fragen, wie es wohl der Frau vom Maradona ging, als er die „Hand Gottes“ spielte. Oder was der Vater vom Gagarin oder Armstrong sich gedacht hat, als der Sohn mit der Rakete losging. Da brauchte meine Freundin nach dem Ende des Konzertes auch den Riesling, um die Anspannung abzubauen und da stellst Du das Auto natürlich schon hin, um sie aus der Bar abzuholen.

Nun denkst Du vielleicht, wer in der Elbphilharmonie spielt, braucht nur die Musik im Kopf und in der Seele und alles andere egal. Aber das wahre Leben natürlich immer anders: Da triffst Du nach dem Konzert den Kubaner, der den Wirbelsturm in den Knochen hat. Ein Mitglied der Crew an diesem Abend telefoniert mit der Hand an der Stirn und fassungslosem Gesichtsausdruck, weil die Tochter was verschluckt und dann die Luft nicht mehr bekommen hat und zur Notaufnahme. Zum Glück in beiden Fällen mit dem Schrecken davon gekommen, aber frage nicht.

Und auch sportlich: 60 Minuten nach Konzertende muß Bühne und Backstage geräumt sein. Da weißt Du jetzt schon: Mein Auto zu diesem Zeitpunkt noch in der Parkgarage. Und auf der Bühne die Gitarren, die Computer, die Racks und 1 Kubikmeter Kabel. Viele Meter hinter der Bühne die Gitarrenkoffer, die Computerhülle, die Rackdeckel und die Kabelkiste. Aber im Backstage-Raum auch noch die Klamotten, die ungegessene Banane, das Ladekabel, der Rucksack. Und an der Bar vor dem großen Saal warten derweil die Familie und Freunde, die Dir gratulieren wollen. Und an der Bar in der Backstage trudeln reichlich interessante Leute ein. 60 Minuten.

Aber zum Glück das Mobiltelefon: Da kannst Du den Freunden und der Familie eine Nachricht schicken: „Muss jetzt erstmal schnell meine Sachen packen…“ Und mein lieber Freund Haroon mal wieder schnell geschaltet. Aber nicht nur Geistesblitz, sondern auch eiskalt. Weil die Security bei Konzerten immer etwas übermotiviert und da kannst Du bitten oder betteln und einen Schein falten, da kommst Du niemals vorbei an den grimmigen Wächtern zum Mick oder zum Keith. Und Elbphilharmonie nicht nur Konzerthaus, sondern quasi F.B.I.-Zentrale oder Oval Office. Aber der Haroon natürlich trotzdem irgendwie vorbeigekommen und durch die verschiedenen Sicherheitsschleusen und mir die Rackdeckel mitgebracht, weil der hat dieses Ding, der müsste sich nicht im Hochhaus eines Schulbuchverlages in Dallas verstecken, der würde einfach in der Limousine beim Präsidenten zusteigen. Aber nur so konnte ich alles in 60 Minuten in mein Auto bekommen.

Und davor das Konzert: Da stehst Du nun. Nach all der Vorbereitung. Und die Show fängt an. Und es bündelt quasi dein ganzes vorheriges Leben: Die Banderfahrungen, die Gitarre, das Djing, die Computersache und das leiten klassischer Ensembles. Alle diese Aspekte sind heute Abend Teil meines Jobs. Aber es ist kein Job. Es ist die Elbphilharmonie. Da willst Du auch einfach nur jede Sekunde aufsaugen und deinen Spaß haben, denn besser kann es wohl nicht mehr werden. Da habe ich mich schon vorher gefragt, ob ich wohl den Tunnelblick kriegen werde, um die Aufgabe gut zu erledigen oder ob ich noch die Antennen ausfahren kann. Aber beim Konzert dann die Aufgabe mühelos – die Einsätze geben, die Gitarre und den Push spielen ganz einfach und der Kopf ganz frei für den Moment. Im Kopfhörer das wichtige Metronom zu hören, aber ich hatte mir auch ein optisches Metronom programmiert, also vier Lichter, die immer „1, 2, 3, 4“ anzeigten. Daher beste Momente: Kopfhörer runter, 360 Grad umschauen, Situation und Sound auf sich wirken lassen und dann weiter im Programm. Was ich bei diesen Gelegenheiten hörte, hätte für meinen Geschmack noch einen kleinen Tick besser abgemischt sein können, aber nun darfst Du eines nicht vergessen: Neue Stücke, neues Team und erster Auftritt. Wenige Proben mit anderer Technik, keine Test-Konzerte. Alles mit glühend-heisser Nadel gestrickt. Dafür haben wir es äußerst souverän gemacht und beim ersten Mal natürlich keine Experimente und Risiken. Und das ich mich auf der Bühne so locker und frei fühlen würde, hätte ich nicht gedacht. Ein Kind im Bonbon-Laden nichts dagegen.

Vor dem Konzert die Frikadelle mit Brötchen und Senf. Einspielen im eigenen Dressing-Room mit Blick über die Stadt, Couch, Fernseher, Kaffeemaschine, frischem Obst und grandiosem Sonnenuntergang. Beste Backstage ever.

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Um 19:52 Uhr steht die Band schon versammelt am Bühnenaufgang. Da fällt dem Reichel ein: Der Cognac! Also alle zurück in die Umkleide vom Reichel, wo neben einem Steinway schon fünf Cognac-Schwenker bereitstanden. Spätestens hier wird klar: Wir machen hier etwas, wo es um mehr geht als „Dienste“ (übliche Vokabel bei Orchestermusikern), eine „Show“ oder Arbeit. Es ist ein Traum, hier heute sein zu können. Alle Beteiligten sind zu ein Team geworden. Es ist einfach ein Geschenk, dass uns aus dem Nichts vor die Füße gefallen ist. Und jetzt packen wir das Geschenk gemeinsam aus. Wenn ich das Gefühl beschreiben müsste, mit dem ich auf die Bühne ging, dann fällt mir tatsächlich kein passenderer Vergleich ein, als die Weihnachtsfeste, die ich als Kind erlebt habe. Wenn Du aus der Kirche kommst, das letzte Weihnachtslied ist gesungen und Du weißt, jetzt kommen die Geschenke. Als sich die Tür zur Bühne öffnete wußte ich seltsamerweise schon: Es wird. Ich werde mich nicht verspielen, keine Einsetze vergessen und der Computer wird mich auch nicht im Stich lassen. Da kannst du jetzt denken: „Der Cognac“. Und vielleicht hast Du damit sogar recht.

Ok, es gab einen ganz kurzen Moment während der Show, als ich die Vibrationen der Soundanlage im Bühnenboden unter mir an den Füßen spürte und dachte: „Oh Mann, diese Vibrationen werden meinen Computer in Kürze killen!“. Besorgt fühlte ich meinem Computer den Puls und stellte erleichtert fest: Diese schwingungsdämpfende Unterlage, die ich nach der ersten Probe bestellt hatte, funktioniert – es waren nicht einmal minimale Vibrationen am Computergehäuse zu ertasten.

Und davor? Ich traf um 12 Uhr mittags als erster Musiker in der Elbphilharmonie ein, da ich am meisten aufzubauen hatte. Zu meiner Überraschung lief alles wie am Schnürchen und ich würde das Durchschnittsalter aller Elbphilharmonie-Mitarbeiter auf 32 Jahre schätzen. Aber was für ein geiler Haufen! Total professionell, gut ausgebildet, nett, entspannt, zuvorkommend, bemüht und engagiert. Bei meiner Ankunft war die Bühne noch komplett leer, nur das Licht war schon vorbereitet. Da habe ich es mir nicht nehmen lassen, als erstes die Gitarre auf der Bühne des großen Saals kurz auszupacken und „Helter Skelter“ zu spielen. Und wie der Zufall so will: Da läuft mir der Tobias (ein Bekannter von der „Ableton User Group Hamburg“) über den Weg und kommt auf die glorreiche Idee, davon ein paar Bilder zu machen. Nur seinetwegen habe ich jetzt ein paar Fotos von diesem besonderen Moment.

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War das ein Einstieg in den Tag! Und mit jeder Viertelstunde war ich weniger eingeschüchtert von der Elbphilharmonie, mit jeder halben Stunde wurde sie kleiner und am Ende hatte meine Nervosität nur noch die Größe der Bühne. Immerhin. Es machte schon einen großen Unterschied, dass dieses Konzert in der Elbphilharmonie stattfand, und nicht in der Stadthalle Kassel. Zuerst einmal, weil dieser Raum für Musik gemacht wurde. Ich könnte jetzt eine lange Reihe von Konzerten nennen mit unterirdischem Sound (der Gipfel sicherlich „The Cure“ 2016), die ich in der Barclaycard-/O2-/Colorline-Arena gehört habe – weil diese Halle durch ihre Abmessungen und Materialbeschaffenheit niemals für Musik konzipiert war. Aber ich würde noch weiter gehen und sagen: Die Elbphilharmonie quasi sechstes Bandmitglied. Und wenn Du schon einmal selbst als Zuhörer da warst, dann hast Du die Erfahrung und Zuversicht, das Publikum kommt mit einem besseren Gefühl und positiverer Grundstimmung bei seinem Sitz an, als in vielen anderen Konzerthäusern. Und das gilt auch für die Musiker. Da kannst Du wieder den Weihnachtsvergleich machen, weil „Stadthalle“ wie Wohnzimmer an den anderen 364 Tagen des Jahres und „Elbphilharmonie“ hingegen wie 24. Dezember und natürlich der Tannenduft, die bunten Kugeln, Kerzen, die besinnliche Stimmung und alles.

Die Zeit von meiner Ankunft bis zum Konzertbeginn verging wie im Flug: Kabel stecken, Soundcheck, mit Tobias quatschen. Aber auch: Immer wieder auf´s Telefon schauen, weil quasi minütlich neues „toi toi toi“ und „Alles Gute für heute!“ ankam.

Und damit möchte ich auch diesen Blog-Block beenden: Mit Euch! Ich habe in den letzten Wochen so viel Unterstützung, Zuspruch und warme Worte von Euch bekommen, für die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte und muss. Ich wurde regelrecht von einer Welle guter Vibes auf die Bühne der Elbphilharmonie getragen. Phänomenal! Egal, ob es um emotionale, technische oder musikalische Unterstützung ging – jeder von Euch hat zum Gelingen dieses Abends beigetragen. Und wenn ich mir anschaue, wer an diesem Abend alles da war: Familie, Freunde, Schüler, ehemalige Schüler, Kollegen, Weggefährten, … Auch wenn dem Internet gerne nachgesagt wird, es wäre vor allem ein Vehikel zur Selbstdarstellung – diesen Blog-Block habe ich vor allem für Euch geschrieben, um Euch an dieser ungewöhnlichen Zeit teilhaben zu lassen. Ohne Euch wäre das ne ziemlich trostlose Veranstaltung gewesen. Ich hoffe, mit diesem Blick hinter die Kulissen euch etwas mitgenommen zu haben durch diese bewegte Zeit.

Und das war´s. Gestern hab ich nen dreistündigen Mittagsschlaf gemacht. Heute war ich erstmal im Schwimmbad. Zwei Stunden im Kinderbereich. Mein Ziel (wäre toll, muss aber nicht…): Die dreijährige Tochter soll den Kopf für ne Sekunde unter´s Wasser machen. Motivationsansprache von mir:

„Wenn Du den Kopf nicht ins Wasser tauchst, dann kannst Du keine Fische sehen!“.

Sie: „Wieso? Ich kann die Fische doch angeln?!“.

Und dann weißt Du, Du bist noch lange nicht am Ziel…

Als letztes: Mein besonderer Dank dem Schriftsteller Wolf Haas, dem Erfinder vom „Brenner“, der mir einen kompakten Schreibstil an die Hand gegeben hat, mit dem es mir auch in hektischen Zeiten möglich war, für Euch zu schreiben.